Mit dem Begriff Gestalt ist die Wahrnehmung eines sinnvollen Ganzen, das mehr ist als die Summe der Einzelelemente, gemeint. Durch die Gesamtheit entsteht ein Sinn und Struktur. Dabei werden, wie bei einem Bild, der Hintergrund und der Vordergrund unterschieden. Beim Mensch rückt jeweils das im Moment wichtigste Bedürfnis in den Vordergrund des Bewusstseins. Erst wenn dieses Bedürfnis befriedigt oder abgeschlossen ist, kann es wieder in den Hintergrund rücken. Dies wird als Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulierung bezeichnet.
Das Ziel der Gestalttherapie ist eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Unbewusstes und Verborgenes soll zum Vorschein kommen, damit der Mensch wieder ein Ganzes wird. Es geht nicht darum sich neue Fähigkeiten anzueignen, sondern Vergessenes wieder in das Leben zu integrieren. Die Lösung zu einem Problem wird in der Person selbst gesucht.
Grundlegend ist die Ansicht einer Ganzheitlichkeit in der Gestalttherapie. Der Mensch wird als Einheit von Körper, Geist und Seele betrachtet. Dazu gehört auch seine Umwelt. Der Mensch kann nicht separat von seiner Umwelt betrachtet werden, sie stehen in einem wechselseitigen Austausch. Die Umwelt beeinflusst den Menschen und der Mensch nimmt Einfluss auf seine Umwelt. Das Organismus-Umwelt-Feld wird als grundlegende Kategorie in der Gestalttherapie angesehen.
Bei der Gestalttherapie gibt es keinen festgelegten Ablauf. Es wird vom Therapeuten erwartet, aufgrund seiner Erfahrung individuell und auch intuitiv auf seinen Klienten einzugehen und entsprechende Methoden anzuwenden. Einige mögliche Methoden sind:
Gewahrsein verbaler Äußerungen
Dabei ist das Bewusstwerden von Gefühlen, Gedanken, Empfindungen oder Verhalten über die Sprache gemeint. Der Therapeut beobachtet den sprachlichen Ausdruck des Klienten und weist ihn auf bestimmte Äußerungen hin. Das können Generalisierungen sein, wie z.B. „Immer passiert mir sowas“. Solche Aussagen werden hinterfragt und es soll gelernt werden, sich als verantwortlich für sein Handeln und Fühlen zu sehen. Ähnlich ist es, wenn der Klient eher die Worte „Wir“, „Es“ oder „Man“ anstatt „Ich“ benutzt. Auch dabei wird Verantwortung von sich gewiesen.
Kreative Methoden
Zusätzlich zum Dialog können verschiedene kreative Methoden eingesetzt werden, um sich selbst auszudrücken. Dazu gehören unter anderem Malen, kreatives Schreiben, Musikinstrumente oder das Modellieren mit Ton.
Technik des leeren Stuhls
Auf einem leeren Stuhl gegenüber des Klienten sollen Personen oder Rollen, die für die eigene Identifikation wichtig sind, imaginär Platz nehmen und es wird Kontakt aufgenommen. Es können die Erwartungen der anderen Person an einen Selbst diskutiert werden oder auch Rollenspiele stattfinden, bei der man den Platz der anderen Person einnimmt. Dadurch sollen innere Konflikte verdeutlicht werden und Verantwortung übernommen werden.
Weitere Schlüsselbegriffe der Gestalttherapie sind:
Wachstum
Es wird von einem lebenslangen Wachstumsprozess ausgegangen. Der Mensch steht in ständiger Wechselbeziehung zu seiner Umwelt, wird von ihr beeinflusst und gestaltet sie. Er trägt die Motivation und die Kreativität zum Wachstum und zum Erhalt seiner geistigen und seelischen Gesundheit in sich.
Gegenwart
Die Gegenwart wird als Ausgangspunkt zur Erkundung vom Selbst und von Wachstumshemmnissen gesehen. Geschehnisse der Vergangenheit können durch Verhalten und Gefühle in der Gegenwart zugänglich gemacht werden.
Dialog
Der Therapeut stellt sich dem Klienten gegenüber nicht als überlegener Experte dar. Die Aufgabe des Therapeuten ist es, Verständnis zu zeigen und sich persönlich und interessiert mit dem Klienten auf eine Entdeckungsreise zu begeben. Therapeut und Klient stehen auf einer Ebene, wobei der Klient wertgeschätzt und nicht als Objekt zur Erreichung eines Zieles angesehen wird.
Erfahrung
Sich selbst und seine Empfindungen bewusst erfahren. Die Wahrnehmung des Klienten soll sensibilisiert werden, damit er seine Gefühle, Empfindungen und Bedürfnisse bewusst wahrnehmen kann. Der Dialog und das Erleben im Hier und Jetzt stehen im Mittelpunkt, nicht das Tiefergehen und Analysieren der Empfindungen.
Kontaktfunktion
Unter Kontaktfunktion wird der Umgang des Menschen mit seiner Umwelt verstanden. Dieser kann funktionstüchtig sein oder auch störend. Bei der Assimilation wird Neues aus der Umwelt aufgenommen und in etwas umgewandelt, das zum eigenen Wachstum notwendig ist. Bei der Introjektion dagegen wird Neues weder umgewandelt, noch geprüft und wird somit nicht in die eigene Person integriert, sondern als „Fremdkörper“ aufgenommen.
Informationen zur Begründerin/zum Begründer:
Friedrich Salomon (Fritz) Perls wurde 1893 in Berlin geboren und starb 1970 in Chicago. Er wurde als drittes Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. 1914 begann er sein Medizinstudium und diente im Ersten Weltkrieg als Feldarzt. Nach dem Krieg promovierte er und begann eine psychoanalytische Ausbildung. 1930 heiratete er seine Frau Laura, mit der er zwei Kinder bekam. 1933 flüchteten sie zuerst in die Niederlande und ein Jahr später nach Südafrika, wo sie gemeinsam das „South African Institute for Psychoanalysis“, das erste psychoanalytische Institut im Land, eröffneten. 1936 hielt er den Vortrag „Orale Widerstände“ auf einem Kongress in der Tschechoslowakei, durch den es zum Bruch mit den orthodoxen Psychoanalytikern kam, die der Ansicht waren, dass Widerstände immer anal seien und nicht oral. 1942 veröffentlichte Perls mit seiner Frau sein erstes Buch „Das Ich, der Hunger und die Aggression“, welches den Beginn der Gestalttherapie darstellte. 1951 erschien das Buch „Gestalttherapie“ und ein Jahr später gründeten Perls und seine Frau das Gestaltinstitut in New York.
Laura Perls wurde 1905 in Pforzheim, als Tochter eines jüdischen Juweliers, geboren und verstarb dort 1990. 1923 begann sie ein Jura-Studium, wechselte aber 3 Jahre später zur Psychologie und Philosophie. Sie nahm an Lehrveranstaltungen von Gestaltpsychologen teil, absolvierte eine psychoanalytische Ausbildung und eröffnete 1931 ihre eigene psychoanalytische Praxis. Nach der Flucht mit der Familie nach Südafrika 1934, wanderten sie 1947 in die USA aus. Als ihr Mann an die Westküste zog, übernahm sie die Leitung des gemeinsam gegründeten „New York Institute for Gestalt Therapy“. Ab 1976 widmete sie sich nur noch der Ausbildungstätigkeit. Im Gegensatz zu ihrem Mann schrieb sie ihr Wissen kaum nieder, es erschienen nur ein paar Artikel von ihr. Ihre Mitarbeit am Buch Gestalttherapie blieb unerwähnt.
Weitere wichtige Personen, die an der Entwicklung der Gestalttherapie beteiligt waren, sind Paul Goodman und Ralph F. Hefferline. Beide verfassten zusammen mit Fritz Perls das Buch „Gestalttherapie – Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung“.
Ablauf einer Sitzung
Es werden Therapien oder Beratungen in Einzel-, Paar- oder Gruppensitzungen angeboten. Einzelsitzungen gehen etwa 50 bis 60 Minuten und Paar- oder Gruppensitzungen 60 bis 90 Minuten. Bei einem ersten Kennenlernen werden die Probleme besprochen und Ziele gesetzt. Der Therapeut bzw. Berater steht dem Hilfesuchenden mit seinem fachlichen Wissen zur Verfügung und hilft eigene Kräfte zu erkennen und einsetzen zu lernen.
Kosten einer Sitzung
Die Kosten für eine Sitzung sind nicht gesetzlich festgelegt und variieren je nach Therapeuten. Eine 50- bis 60-minütige Einzeltherapiesitzung bei einem Gestalttherapeuten kostet um die 75 Euro, eine 90-minütige Paartherapie ca. 100 bis 150 Euro. In der Beratung und im Coaching liegen die Kosten für eine Stunde bei etwa 80 bis 100 Euro.
Verbreitung der Methode
Die Gestalttherapie wird in Deutschland von vielen Therapeuten und in Kliniken angewendet. In Österreich und der Schweiz gehört sie zu den über die Krankenkasse abrechenbaren Therapieformen. In Deutschland wird noch um die rechtliche Anerkennung gekämpft, was ein langer und auch politischer Prozess ist. In verschiedenen Studien konnte die Wirksamkeit der Gestalttherapie empirisch nachgewiesen werden.
Ausbildungsweg für Coaches / Therapeuten
Eine Ausbildung in Gestaltpsychotherapie dauert etwa 4 bis 5 Jahre, wovon 2 Jahre die Grundausbildung umfassen und weitere 2 bis 3 Jahre für die klinisch-psychologische Hauptausbildung eingeplant sind. Die theoretische Ausbildung bezieht sich auf gängige Krankheitsbilder und eine konkrete Vorbereitung auf die Praxis.
Es werden außerdem Weiterbildungen im Coachingbereich, der Supervision, der gestaltorientierten Mitarbeiterführung und Organisationsentwicklung oder zum Gestaltberater angeboten. Diese gehen jeweils über einen Zeitraum von etwa 2 bis 3 Jahren.
Die Ausbildungs- bzw. Weiterbildungsangebote variieren je nach Institut, es gibt keine einheitlichen Regelungen und auch keine vorgeschriebenen Voraussetzungen. Generell richten sich die Angebote an Menschen, die in therapeutischen, beratenden, helfenden, lehrenden oder ähnlichen Berufen arbeiten. Die Ausbildungen werden meist berufsbegleitend angeboten.
(Berufs-)Verband, Verein
Die Deutsche Vereinigung für Gestalttherapie e.V. (DVG) ist der Dachverband für Gestalttherapie in Deutschland. Gegründet wurde sie in Zusammenarbeit von Ausbildungsinstituten der Gestalttherapie und einzelnen Therapeuten. Ihre Schwerpunkte liegen in der Verbreitung der Gestalttherapie in den verschiedenen Anwendungsbereichen, in der wissenschaftlichen Forschung und sie stellt einen Ort des Austauschs für Gestalttherapeuten dar. Die DVG bietet eine Auflistung von Therapeuten, Beratern und Institutionen, die die von ihnen gestellten Qualitätsstandards erfüllen. Außerdem ist sie für die Redaktion der Zeitschrift „Gestalttherapie“ zuständig.
Im internationalen Bereich ist die European Association for Gestalt Therapy (EAGT) tätig. Sie ermöglicht Therapeuten und Instituten aus mehr als 20 europäischen Ländern einen wissenschaftlichen Austausch, welcher dabei helfen soll die Forschung weiter anzutreiben und somit die hohen Standards der Gestalttherapie zu erhalten. Sie setzt unter anderem Richtlinien für die Ausbildung fest und veranstaltet alle 3 Jahre die „European Conference of Gestalt Therapy“.
Das „New York Institute for Gestalt Therapy“ wurde 1952 von Fritz Perls und seiner Frau gegründet. Heute ist es ein Treffpunkt für jeden, der an Gestalttherapie interessiert ist. Es finden regelmäßige Treffen und Events statt.
Während des Studiums suchte ich den Psychologischen Dienst der Universität auf. Der Therapeut dort war in Gestalttherapie ausgebildet. Mir war nicht klar, was das konkret bedeuten würde aber ich war verzweifelt und suchte Hilfe. Was mir sehr eindrücklich in Erinnerung geblieben ist ist die Stuhlarbeit, also das Einnehmen mehrere Positionen. Seien es zwei wiederstreitende Teile in mir selbst oder z.B. Eine Interaktion zwischen mir und meiner Mutter. Ich kam durch diese Arbeit ziemlich schnell ans Eingemachte, sprich an meine Emotionen. Plötzlich Stand es im Raum, war aussprechbar, spürbar und wurde dadurch annehmbar. Mit haben die paar Stunden Gestalttherapie sehr geholfen.